Wie ich mit Bettlern umgehe

Ich stehe am Früchtestand und warte auf meinen frischgepressten Jus d’Orange. Ich weiß, es wird nicht lange dauern, dann kommen Bettler, die um ein paar Münzen bitten oder Kinder, die Tempos verkaufen wollen.

Ich kenne den Ablauf und überlege jeden Tag aufs Neue, wie man am besten damit umgeht.

Ich beobachte das Geschehen um mich herum: die Schlangenbeschwörer mit ihren Trommeln. Die Männer, die kleine Affen in Pampers auf ihren Schultern tragen und für ein paar Münzen ein Foto anbieten.

Die Handleserinnen, denen ich niemals trauen würde und die Henna – Malerinnen, die die Touristinnen jagen, als wären sie Wild, das erlegt werden müsse.

Dann ist es soweit: wie erwartet, zieht das erste Kind an meinem Rockzipfel…ich schaue nach unten…ein etwa 3-Jähriger mit großen, dunklen Augen und schwarzen Locken schaut mich an und will Juice. Die Mutter steht hinter mir. Ich frage sie, ob ich ihm Juice geben darf…nein, lieber Münzen für Essen, sagt sie. Ich gebe ihr welche und höre das Kind weinen, weil es keinen Juice bekam…..ich ärgere mich, dass ich ihm nicht einfach einen Saft bestellt habe.

Am nächsten Tag dieselbe Situation mit einem älteren Jungen….er will keine Münzen, er fragt gleich nach Juice. Ich freue mich und bestelle für uns beide. Wir trinken den Saft zusammen, schauen auf das Getümmel am Platz und machen noch ein Foto. Zum Abschied lacht er mich an.

Ich will langsam gehen, höre ich von hinten jemanden ‚Ananas‘ rufen. Etwa zwei Minuten lang…..Ananas, Ananas….ich dreh mich um, lacht mich ein großer, fülliger Mann mit Dreadlocks an….er sieht aus wie ein Jamaikaner…..und er will eine Ananas…und zwar von mir.

Ich muss lachen. Er wird um die 50 sein….doch offensichtlich ruft das Kind in ihm nach dieser Ananas.

Ich kaufe sie ihm.

Es ist 2 Uhr morgens. Ich bin auf dem Weg heim. Freunde begleiten mich, weil es alleine zu gefährlich wäre. Wir sehen eine alte Frau, die um Geld bettelt. Wie schon zwanzig Mal zuvor an diesem Tag und dieser Situation sage ich ‚I’m sorry‘ und gehe weiter. Dann drehe ich mich nochmal um…und fühle plötzlich das Leid dieser Frau und wie entwürdigend es sein muss, in ihrem Alter junge Touristen anzubetteln, die sie mit ‚I’m sorry‘ abfertigen. Ich gehe zurück und gebe ihr ein paar Münzen.

Vielleicht auch um das eigene Gewissen zu beruhigen.

Immer war ich ratlos bei der Frage, wie man mit dem Betteln umgeht. Nicht nur in Marokko, auch in Wien oder anderen Städten…

Heute entscheide ich nach Gefühl. Es gibt kein ‚Schema F‘. Ich kann nicht pauschal sage: ich gebe nichts, damit es für die Leute ja nicht zum Geschäft wird. Ich kann aber auch nicht jedem etwas geben, um mich selbst besser zu fühlen bzw. aus Mitleid heraus.

Es geht hier um das Zwischenmenschliche, so wie in jeder anderen Beziehung auch. Wir können nicht sagen, ‚geht mich alles nichts an‘. Wir können aber auch nicht die Welt retten.

Ich höre auf meine Intuition und überlege nicht, wer ist der Bedürftigste…und was macht er wohl mit dem Geld….ich gebe, wenn es sich richtig anfühlt.

Oft kommt es auch auf die Situation drauf an…und auf die Art und Weise des Fragenden…wie immer, wenn man um etwas gebeten wird…denn das Betteln ist nichts anderes…als eine Bitte.

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